Als Vorsitzender der Gemeindevertretung prägt Helmut Adam (CDU) die Lautertaler Kommunalpolitik entscheidend mit. Zuvor war er Erster Beigeordneter und musste nach dem Rücktritt von Bürgermeister Jürgen Kaltwasser zeitweise als Ehrenamtler die Aufgaben des Verwaltungschefs übernehmen. Im Interview spricht Adam über die größten Herausforderungen für die Lautertaler Gemeindepolitik – und über das Engagement in einer Kommune, die schon so manche Krise bewältigen musste. Herr Adam, Sie begleiten die Lautertaler Gemeindepolitik nun schon eine ganze Weile. Was hat sich in dieser Zeit am meisten verändert? Helmut Adam: Ein großer Einschnitt war, dass ab 1995 der Bürgermeister direkt gewählt wurde. Eine weitere Zäsur war die Einführung der doppelten Buchführung in den kommunalen Haushalten. Im Nachhinein betrachte ich es als Fehler, dass damals nicht mehr geändert wurde. Man hätte zu jener Zeit schon eine Art zweite Gebietsreform durchführen müssen. Auch das Online-Zugangsgesetz, das vorschreibt, dass Verwaltungen ihre Leistungen auch auf Internetportalen anbieten müssen, halte ich nur für einen scheinbaren Gewinn in einer kleinen Verwaltung. Die Doppik und das Online-Zugangsgesetz sind nur für Städte oder große Verwaltungen sinnvoll, nur dort lassen sich damit Abläufe beschleunigen und Personal einsparen. Eine gute Sache war hingegen die Eröffnung des Felsenmeer-Informationszentrums im Jahr 2007. Das war etwas, das über den normalen politischen Alltag hinausgegangen ist. Es hat gezeigt, dass doch mehr machbar ist als das „Alltägliche“.     

Wäre das Felsenmeer-Informationszentrum ohne die Gebietsreform möglich gewesen?

Adam: Wahrscheinlich nicht. Zumindest nicht, wenn nicht von Kreis- oder Landesebene etwas in dieser Richtung unternommen worden wäre. Die Gemeinde Reichenbach hätte das damals alleine nicht geschafft. Das Felsenmeer-Informationszentrum ist wirklich etwas Positives.

Was hätte besser laufen können nach der Gründung der Gemeinde?

Adam: Es gab schon einige Dinge, die nach der Gebietsreform angestoßen wurden, etwa der Bau der Lautertalhalle und des neuen Rathauses. Ebenso wie das Rathaus ist die Halle wieder sanierungsbedürftig. Es ist allzu oft so in der öffentlichen Hand, dass man Gebäude errichtet, sich aber dann keiner mehr darum kümmert. Es wird versucht zu sparen, aber dadurch wird alles nur noch schlimmer, bis eine Grundsanierung nötig ist.
      

Für den Gemeindevertretervorsitzenden Helmut Adam eine wichtige Errungenschaft der Gemeindegründung: Das Felsenmeer-Informationszentrum in Reichenbach. ARCHIVBILD: FUNCK

Sie selbst haben als Erster Beigeordneter den Höhepunkt der Lautertaler Finanzkrise miterlebt. Wie hat sich die Gemeinde seitdem entwickelt?

Adam: Wir haben mittlerweile den Vorteil, dass ein externes Fachbüro unseren Haushalt aufstellt. Das sind Leute, die in Übung sind, die sich auskennen. In einer kleinen Kommune kann so etwas nur jemand übernehmen, der über eine entsprechen Ausbildung und Erfahrung verfügt. Bei eigenem Personal hat das natürlich wieder entsprechende Personalkosten zur Folge. Was bei knappen Finanzmitteln neue Probleme bereitet. Und auch dann erstellt derjenige nur jedes Jahr einen Haushalt. Wie damals mit den Buchungsfehlern bei der Straßenentwässerung. Das war eindeutig mangelnde Praxis.

Ist es denn eine Dauerlösung, dass eine Kommune solche Aufgaben einem Fachbüro überlässt?

Adam: Auch in privaten Unternehmen wird die Buchhaltung oft extern erledigt.

In der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Gemeinde Lautertal sagten Sie, die jetzige Situation sei eine ähnliche wie 1972, zur Zeit der Gebietsreform. Wie könnten neue Reformen aussehen?

Adam: Es gibt wie gesagt zu viele Aufgaben, die die Kommunen überfordern. Kinderbetreuung und Bildung etwa ist eine nationale Aufgabe. Es kann nicht sein, dass dies eine Sache der Kommune ist, schon weil die bauliche Unterbringung ja auch eine Geldfrage ist. Im schulpflichtigen Alter von Kindern beginnt das nächste Problem, wenn Familien beim Umzug in Deutschland das Bundesland wechseln, hier setzt jedes Bundesland andere Schwerpunkte. Auch in der Pandemie haben sich Probleme gezeigt, jedes Bundesland ist seinen eigenen Weg gegangen. Vielleicht braucht es eine Reform unseres föderalistischen Systems.

Und was sollte sich auf lokaler Ebene ändern?

Adam: Wir haben jetzt angefangen mit interkommunaler Zusammenarbeit, etwa mit Lindenfels im Bereich der Wasserversorgung. Das Ganze muss mit der Zeit eine festere Form entwickeln, im Moment ist die Zusammenarbeit ja noch eher lose. Aber ich finde, das ist eine gute Einrichtung. Das muss natürlich gepflegt und beobachtet werden. Und so ist es bei vielen Dingen. Wieso sollte es keine staatliche Stelle geben, die für mehrere Kommunen die Haushalte erstellt? Damit meine ich natürlich nur die Aufgaben, die derzeit das Fachbüro erledigt, die Finanzhoheit und Verantwortung der Kommunen ist ja durch die Hessische Gemeindeordnung festgelegt. Ein anderes Beispiel ist der Zweckverband Kommunalwirtschaft Mittlere Bergstraße (KMB), der unseren Bauhof betreibt. Das Problem ist, dass die Kommunen selbst tätig werden müssen, um so etwas voranzutreiben. Ich kann mir vorstellen, dass Kommunalpolitiker, natürlich auch Bürgermeister, befürchten, Einfluss zu verlieren. Interessant ist, dass Entscheidungen wie der Betrieb der Wasserversorgung gemeinsam mit Lindenfels, ein externes Büro zur Haushaltserstellung, Bauhofleistungen durch den KMB, erst fielen, als wir im Lautertal mit dem Rücken zur Wand standen.

Das heißt, solche Reformen müssten nicht gleich mit der Zusammenlegung von Kommunen einhergehen?

Adam: Nein, man könnte Dinge auslagern, die kompliziert oder personalintensiv sind. Was ist, wenn ein spezialisierter Mitarbeiter krank ist und ausfällt? Es müssten mehrere Leute mit dem nötigen Wissen da sein. Das kann sich aber nicht jede Kommune leisten. Ich habe auch immer wieder erfahren, dass auf die Kommunen neue Aufgaben übertragen werden, aber nie, dass welche abgegeben werden konnten. Die Kreisverwaltung ist einer der größten Arbeitgeber im Kreis Bergstraße. Wir haben eine kleine Gemeinde, die sich nur wenig Personal leisten kann, darüber sitzt eine große Verwaltung, die über Umlagen von den Gemeinden lebt.

In der Gemeindevertretung wird oft hitziger und länger diskutiert als in manch anderer Kommune. Sehen Sie das als Vor- oder als Nachteil?

Adam: Wir sind halt diskussionsfreudig, nach Wahlen müssen sich die handelnden Personen erst näher kennenlernen, dann kommt auch wieder mehr Ruhe in die Gemeindevertretung. Es war früher auch schon hitziger. Es kommt immer auch auf die Themen an und darauf, wer sich wie betroffen fühlt. Mancher sieht vielleicht auch, was im Bundestag abgeht und meint, sich daran ein Beispiel nehmen zu müssen. Ein Problem ist, dass das Interesse junger Menschen an der Kommunalpolitik nicht sehr groß ist. Auch das zeigt sich in der Gemeindevertretung.

Wie könnte man mehr junge Menschen für die Kommunalpolitik begeistern?

Adam: Ich denke, das fehlende Interesse hängt auch mit den Freizeitangeboten zusammen, es gibt einfach viele Dinge, die mehr Spaß machen als Kommunalpolitik. Die Jugendlichen müssen die Bedeutung der Kommunalpolitik selbst erkennen. Aber es geht auch nicht unbedingt nur um Jugendliche. Mit 30 bis 40 Jahren haben Menschen eine gewisse Erfahrung, die Ausbildung ist abgeschlossen, die Gründung einer Familie ist erfolgt, auf dem Land ist die Wohnungsfrage geklärt. Ich denke, das ist das Alter, in dem man sich für die Allgemeinheit engagieren kann und muss. Denn der Staat sind wir alle. Auch habe ich den Eindruck, dass sich in Deutschland im Laufe von 75 Jahren Frieden und wachsendem Wohlstand eine Art der Vollkasko-Mentalität entwickelt hat. Man versucht, etwas mit geringem Einsatz zu bewegen, wenn es nicht klappt, springt schon der Staat ein. Viele Politiker erwecken den Eindruck, dass das selbstverständlich sei. Keiner sagt, der Staat seid Ihr, Ihr werdet irgendwann die Rechnung bezahlen.

Trotz all dieser Widrigkeiten sind sie jetzt schon seit über 20 Jahren Kommunalpolitiker. Was treibt Sie an?

Adam: Das hat mit einem Lehrer in meiner Schulzeit in Kolmbach zu tun. Er hat uns täglich etwa eine halbe Stunde etwas über die politische Weltlage erzählt. Er war auch kommunalpolitisch tätig. Das Thema Staatsaufbau hat mich unheimlich interessiert.

Wie war die Gebietsreform für die Normalbürger? Hat sie das im Alltag überhaupt tangiert?

Adam: Ja, es gab ja auch Bürgerentscheide. Die Leute damals waren sehr engagiert. Das hat dann auch mit dazu beigetragen, dass es viel Streit um die Gebietsreform gab. Jeder wollte für sein Dorf Vorteile erreichen.

Inwieweit spielt in den Debatten der Gemeindevertretung noch die Zugehörigkeit zu Ortsteilen eine Rolle?

Adam: Keine große mehr. Das gehört zu den Dingen, die sich in den letzten Jahren verbessert haben. Die Einsicht hat sich durchgesetzt, dass man viele Dinge nur gemeinsam schafft.

Welche Herausforderungen sehen Sie in den nächsten Jahren für Lautertal?

Adam: Das kommt darauf an, wie sich Politik und Wirtschaft generell entwickeln. Man weiß ja gar nicht, was noch kommt. Wie entwickelt sich der Krieg in der Ukraine? Das ist einer der größten Unsicherheitsfaktoren. Auf Lautertal bezogen würde ich sagen, ist die größte Herausforderung die Kindergartenbetreuung, die Frage, wie wir alles finanziell stemmen. Dabei geht es auch immer um die Frage, wie schnell etwas entschieden wird. Die Debatte um den neuen Kindergarten an der Lautertalhalle und vor allem dessen Umsetzung gehen mir ein bisschen zu langsam. Ähnlich war es bei den Baugebieten im Schmelzig und Destag. Wir müssen auch schauen, wie es mit der Zukunft der Lautertalhalle weitergeht – in Abstimmung mit den Vereinen. Dann bleiben noch die Wasserversorgung, die Feuerwehren und viele andere Dinge – es gibt genug zu tun. Interview: Konrad Bülow