Die Lautertaler Biografie war gerade fünf Jahre jung, als Heidi Adam auf die Bühne kam. Seit 1977 ist sie kommunalpolitisch aktiv und hat in unterschiedlichen Funktionen die Entwicklung der Gemeinde und ihren zwölf Ortsteilen in der ersten Reihe verfolgt und mitgestaltet. Und sie weiß, dass dabei nicht alles ideal und glücklich gelaufen ist. Dennoch wirft sie 50 Jahre nach der Gebietsreform einen zuversichtlichen Blick nach vorn. Allerdings nicht ohne einen Aufruf zu noch mehr Zusammenhalt und Identifikation mit der Gemeinde – und vor allem zu mehr Weitsicht, um die Weichen für die Zukunft früher und besser stellen zu können. Dies sei in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen, so die engagierte Frau, die 2001 zur Vorsitzenden der Gemeindevertretung gewählt wurde. Und zwar als direkte Nachfolgerin des späteren Landrats Matthias Wilkes, mit dem sie 1993 einen kurzzeitigen Regierungswechsel eingeläutet hatte.     

Auf diesem Gelände an der Lautertalhalle soll ein neuer Kindergarten gebaut werden. BILD: TM  

An die starre politische Lagerbildung, die als „Lautertaler Verhältnisse“ zum geflügelten Begriff wurden, kann sie sich noch gut erinnern. Wenngleich immer Mitglied der Freien Wähler und auch deren Vorsitzende, gilt Heidi Adam eine Kommunalpolitikerin, die ein hohes Maß an Akzeptanz in allen Parteien genießt. Es ist der Blick über den Tellerrand und das kommunikative Überwinden vermeintlicher oder echter Barrieren, was sie sich für die Großgemeinde in Zukunft wünscht.

Als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Geschichts- und Heimatvereine im Kreis Bergstraße war sie prädestiniert, um die Jubiläums-Festschrift redaktionell federführend zu gestalten. Der objektive Blick auf historische Fakten wird nicht durch eine lokalpatriotisch rosa gefärbte Brille getrübt. Gerade während der ersten Jahre nach der kommunalen Reform sei es nicht immer gelungen, alle Menschen auf diesem neuen Weg mitzunehmen.

Aber auch bei der Entwicklung einer zukunftsfähigen Infrastruktur für den ländlichen Raum Lautertal habe man damals einiges versäumt. Beispielhaft nennt sie die Sanierung der Gemeindestraßen, für die den politischen Akteuren mehr als einmal der Mut gefehlt habe. Angesichts der Aussicht, dass sich die Bürger an den Kosten beteiligen sollten, wurden dringende Maßnahmen der parteipolitischen Räson geopfert. Zudem habe man es versäumt, frühzeitig ein professionelles Wasserversorgungs-System aufzubauen. Ebenso wie es dringend besserer Straßen bedürfe, komme man mittelfristig nicht um einen besseren öffentlichen Personennahverkehr herum. Nicht nur für die Schülerbeförderung, so Adam, die bis 2019 die Schule am Sportpark in Erbach – eine integrierte Gesamtschule – geleitet hat.

Insbesondere in der Peripherie abseits der viel befahrenen B47 sei der Linienbusverkehr dünn ausgebaut. Auch in punkto Mobilität müsse die Gemeinde nachbessern, um als Wohnstandort mit räumlich sehr begrenzten Perspektiven attraktiver zu werden. Es sei hoch erfreulich, so Heidi Adam, wenn junge Familien hierherziehen. Allerdings müssen man ihnen auch die entscheidenden Argumente bieten. Dazu gehört die nötige Infrastruktur: Krippen, Betreuungsplätze und Schulen. Hier müsse man den Bestand sichern und neue Angebote dem Bedarf entsprechend schaffen. Aber auch – und hier schaut zudem das Gewerbe genauer hin – ein schnelles Internet, was längst Standard sei.

„Die Fehler dürfen sich nicht wiederholen“

Apropos Wirtschaft. Mit dem Abzug der Ciba Spezialitätenchemie Mitte der 90er Jahre verlor die Gemeinde einen potenten Gewerbesteuerzahler und Arbeitgeber. Die Umwandlung des Industrieareals in einen Gewerbepark war eine der massivsten Weichenstellungen in der Geschichte der Gemeinde. „Es war allen klar, dass man bei einer Nachnutzung niemals so hohe Einnahmen erzielen würde“, erinnert sich Heidi Adam an dieses prominente Kapitel. Aber auch der Abschwung der Steinindustrie, die das Gesicht der Dörfer über Jahrzehnte geprägt hatte, habe zur inneren Dynamik beigetragen.

Positiv indes beurteilt die erfahrene Kommunalpolitikerin die Entwicklung des touristischen Angebots. Hier fällt sogleich der Name des größten Pfunds, mit dem man wuchern kann: das Felsenmeer. Heidi Adam gehört zu den frühen Mitstreitern im Naturpark Bergstraße-Odenwald. „Ich würde einen Neubürger als erstes zum Felsberg führen, weil es ein historisch unglaublich bedeutsamer Ort ist“, so die langjährige Felsenmeer-Führerin über ein „einzigartiges und wunderschönes Naturdenkmal“. Im Kontext der Aufwertung des Naturparks zum Unesco-Geopark war das Gebiet als geologische Spezialität der Region insgesamt stärker in den Fokus gerückt. 2002 wurde er vom Geopark zum ersten „Geotop des Jahres“ ernannt.

Das Informationszentrum, das in Reichenbach ab 2004 sukzessive entstanden ist, bezeichnet sie als eine der wichtigsten Entscheidungen zur Förderung des Fremdenverkehrs. Längst gehört es zu den Eingangstoren des Geoparks, das pro Jahr von 200000 Besuchern passiert wird. „Eine Bereicherung für das Lautertal“, so Heidi Adam, die sich zur Vor-Ort-Begleiterin hat ausbilden lassen. Hier sei eine breite politische Debatte in eine richtige Richtung gesteuert worden.

„Steinreich“ ist die Gemeinde aber nur in geologischer Hinsicht. Die finanziellen Sorgen hat Heidi Adam nicht nur in den Gremien, sondern auch am eigenen Wohnzimmertisch miterlebt. Nach dem Ausscheiden von Bürgermeister Jürgen Kaltwasser im Sommer 2017 musste ihr Mann Helmut Adam einspringen und erste Maßnahmen zur Sanierung des Etats in die Wege leiten. Damals hätte der Erste Beigeordnete nicht damit gerechnet, dass er ein Vierteljahr lang die Geschäfte im Rathaus führen musste. Seit einem Jahr ist er Vorsitzender der Gemeindevertretung – seine Frau bekleidete das Amt von 2001 bis 2011.

Ihr Blick in die nahe Zukunft ist von gemischten Gefühlen geprägt. Einerseits sei das das Kirchturmdenken in den zwölf Dörfchen heute weniger stark ausgeprägt als in den frühen Jahren nach der kommunalen Gebietsreform. Auf der anderen Seite erkennt sie einen gesamtgesellschaftlichen Wandel, der auch in Lautertal zu spüren sei: weniger Interesse für den eigenen Wohnstandort und eine verhaltene Bereitschaft, das öffentliche Leben mitzugestalten. Gleichzeitig wachse die Notwendigkeit, mit Nachbarn zu kooperieren, um die finanziellen Belastungen im Zaum zu halten und von Synergien zu profitieren. „Auch im Rathaus muss man sich dieser Entwicklung bewusstwerden“, betont sie. Die Fehler der Vergangenheit dürften sich nicht wiederholen. Die Planung eines Kindergartens für mehrere Ortsteile an der Lautertalhalle sowie die Zusammenarbeit mit der Stadt Lindenfels beim Thema Wasserversorgung und mit Bensheim in Sachen Bauhof seien erste positive Signale. Lautertal müsse jetzt offen und ehrlich kalkulieren, um in eine stabile Zukunft gehen zu können. Und als Gemeinde ihre Selbstständigkeit verteidigen zu können. Thomas Tritsch
     

IM RATHAUS ERHÄLTLICH

Das Festbuch zum 50-jährigen Bestehen der Gemeinde Lautertal wurde von einem Team von Autoren um Heidi Adam, der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Heimat- und Geschichtsvereine im Kreis Bergstraße, hat das Buch erstellt.

Es informiert unter anderem über die Geschichte der Gemeinde sowie über ihre Vereine und ortsansässige Künstler.

Das über 130 Seiten umfassende Werk ist im Rathaus der Gemeinde in Reichenbach erhältlich. Es kostet zehn Euro. red