Nach 38 Jahren des ehrenamtlichen Engagements wurde Reinhard Antes im Sommer aus dem Vorstand der Bergsträßer Winzer eG verabschiedet. Seit 1995 hatte er die Geschicke der Bergsträßer Winzer als Vorstandsvorsitzender gelenkt und den Betrieb in vielfältiger Weise weiterentwickelt.Der Bau der Wein-Erlebniswelt Viniversum und die Errichtung des Weinerlebnispfads Wein und Stein in Kooperation mit dem Geo-Naturpark sind nur zwei Beispiele seines Wirkens. Reinhard Antes kennt den Weinbau an der Bergstraße wie wenige andere. In den vergangenen Jahren hat er sich verstärkt für den Einsatz von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten (Piwi) eingesetzt und deren Anbau vorangetrieben.  

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Herr Antes, Ihre Reben wachsen an der Hessischen Bergstraße, etwa auf dem 50. Breitengrad. Sie sind in den letzten Jahren meist sehr zufrieden mit den Jahrgängen gewesen. Macht Ihnen der Klimawandel nicht zu schaffen?

Reinhard Antes: Der Klimawandel bietet Vorteile, aber zunehmend auch Nachteile für den Weinbau. Schon lange, bevor das politisch thematisiert wurde, mussten Winzer mit dieser Entwicklung umgehen, die keineswegs ein neuzeitliches Phänomen ist. Bereits im Mittelalter gab es eine Warmzeit und kleine Eiszeiten. Bei ähnlichen Temperaturen wie heute war die Rebfläche mit rund 400.000 Hektar etwa vier Mal so groß. Aktuell kommt zu den natürlichen Klimazyklen noch der menschengemachte Effekt hinzu, auf den wir trotz aller Warnungen wenig vorbereitet sind. Man muss – auch wenn es schwerfällt – als Folge des aktuellen Klimawandels zugeben: Heute sind die Standorte der mittelalterlichen Warmzeit wieder für die Reben geeignet.

Wie zeigen sich die Auswirkungen konkret? Sie dokumentieren ja immer sehr präzise die Vegetationsverläufe und Lesezeitpunkte.

Reinhard Antes: Deutschland liegt längst nicht mehr am „nördlichen Rand“ der europäischen Weinbaugebiete, sondern ist klimatisch in den Optimalbereich der für die Reben nötigen jährlichen Wärmesumme vorgerückt. Heute wird der Weinbau am 58. Breitengrad in Norwegen betrieben. Die Folge dieser Polverschiebung der Weinbauzonen in der nördlichen und südlichen Hemisphäre ist, dass wir fast nur noch optimale Weinjahrgänge ernten, die Qualität hat sich ständig gesteigert. Einher geht schleichend ein Rebsortenwandel. Inzwischen bauen wir wärmeliebende südliche Rebsorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot, Chardonnay, Sauvignon blanc oder Goldmuskateller an. Der Klimawandel hat übrigens auch den Rotweinboom ermöglicht.

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Klimabedingt sind auch an der Bergstraße wärmeliebende Rebsorten auf dem Vormarsch. BILD: THOMAS NEU

Es wird ja nicht nur wärmer, auch die Extreme nehmen zu. Welches sind die größten Herausforderungen? Mit Blick auf die Werte in den vergangenen Jahren zeigt sich, dass der Begriff „normal“ eine flexible Größe ist. Worauf müssen sich Winzer in den kommenden Jahren einstellen?

Reinhard Antes: Die zentralen Probleme sind unter anderen die Trockenheit, die schon seit Jahren in immer kürzeren Intervallen – und 2022 besonders schlimm – zu spüren ist. Aber auch Extreme wie Hagel, Sturm und Starkregenereignisse nehmen deutlich zu. Dazu kommen südliche Schädlinge wie Zikaden und die Kirschessigfliege sowie Infektionen durch Pilzkrankheiten wie Peronospora, die ebenso wie neu eingewanderte Pilze bekämpft werden müssen. Altbekannte Schädlinge wie Traubenwickler oder Reblaus bilden jährlich zusätzliche Generationen und werden aggressiver. Neue Herausforderungen stehen längst schon vor der Landesgrenze. Unsere traditionellen Rebsorten haben gegen all diese Angriffe keine natürlichen Resistenzen und benötigen daher mehr Pflanzenschutzmaßnahmen.

Aber auch die Weinlese beginnt scheinbar immer früher, oder?

Reinhard Antes: Austrieb, Blüte und Reife sind seit den 80er Jahren gleitend nach vorn gerutscht, die Lese um mindestens zwei Wochen. Ein Beispiel: Die Hauptlese begann 1954 am 26. Oktober, das waren sechs bis acht Wochen später als in diesem Jahr. Trockenbeerenauslesen wurden früher manchmal im November geerntet. Jetzt schon im September. Wegen der frühen Reife fällt die Lese häufig in den Frühherbst, und dadurch entsteht ein höheres Fäulnisrisiko als im kühlen Oktober. Der Lesedruck zur Traubenrettung ist enorm.

Beeinflusst das auch die Stilistik der Weine?

Reinhard Antes: Ja, der Weincharakter verändert sich. Weißweine haben in manchen Jahren weniger Aroma, weil dafür kühle Herbstnächte nötig wären. Sie haben oft geringere Fruchtsäure, in Trockenjahren weniger Extrakt und altern schneller. Die höheren Mostgewichte sorgen für mehr Alkohol – manchmal fast zu viel. Die Qualität der Rotweine und unsere Auszeichnungen dafür steigen dagegen konstant.

Wird der Bergsträßer Eiswein durch den Klimawandel bald zum Exoten?

Reinhard Antes: Die Chance auf Eisweine sinkt in der Tat permanent. Konnte man die natürlich gefrorenen Beeren früher oftmals vor Weihnachten ernten, gelang das zuletzt erst im Februar des folgenden Jahres. So lange hält ein Riesling aber nicht durch.

Und wie reagieren die Winzer im kleinsten deutschen Anbaugebiet?

Reinhard Antes: Es gibt Maßnahmen im Weinberg wie auch im Keller. Pflanzenschutzmaßnahmen werden terminlich dringender und schwieriger, und auch eine Bewässerung ist öfter erforderlich. Ohne sie haben junge Weinberge kaum noch eine Chance. Alte Weinberge profitieren zwar jetzt noch vom tiefen Wurzelwerk der letzten Jahrzehnte, doch schon die nächste Generation wird um Jahre länger für die Neubildung brauchen. Das bedeutet auf Dauer geringere Erträge und steigende Kosten pro Liter. In der Konsequenz werden immer mehr unrentable Flächen aufgegeben. In den Heppenheimer Lagen Schlossberg und Maiberg ist daher im Vergleich zu den 80er Jahren nur noch ein Fünftel der Fläche bestockt. Im Keller wird immer öfter eine Säuerung der Moste, erforderlich, wie sie in Südeuropa ja schon immer zulässig ist. Die gekühlte Gärung der Weißweine ist heute Standard, um natürliche Aromen zu erhalten. Investitionen zur Kühlung der frischen Trauben oder eine Lese in den Morgenstunden oder gar nachts sind ganz aktuelle Entwicklungen.

Könnten pilzwiderstandsfähigen Sorten (Piwi) sukzessive klassische Bergsträßer Sorten wie den Riesling verdrängen?

Reinhard Antes: Das Herz vieler Winzer und vor allem der Weinfreunde hängt an den traditionellen Sorten. Doch der Druck wächst immens, neue robuste Sorten anzubauen. Bei einem internationalen Symposion mit 130 Experten aus 23 Ländern lautete die Botschaft: Um unsere Weinregionen zu erhalten, ist ein Sortenwechsel unausweichlich. Wir haben mit Piwis an der Bergstraße schon einen Vorsprung vor den anderen Regionen und liegen derzeit doppelt so hoch wie der Bundesschnitt. Verlierer dieser Entwicklung ist weniger der Riesling als etwa frühreifende Sorten wie Müller-Thurgau oder Silvaner, das sind die ersten Verlierer des Klimawandels.

Werden bislang kühlere Rebflächen im Kontext des Klimawandels interessanter werden? Man denke an Weinbau in Großbritannien. Reben in Südengland und Südwales waren früher eher Exoten, oder?

Reinhard Antes: Ein klares „Ja“. Wir exportieren Rebpflanzen inzwischen in 40 Länder mit großem Schwerpunkt in allen neuen „Cool Climate Ländern“ und haben schon vor zwölf Jahren in Heppenheim eine erste internationale Konferenz zu diesem Thema veranstaltet. Neue Weinbauländer wie Belgien, Holland, England, Dänemark, Schweden, Norwegen und Polen sind tatsächlich massiv hinzugekommen. Aber auch in Nord- und Ostdeutschland beginnt man wieder mit dem Weinbau. Doch an der Wertschätzung der eigenen Produkte hapert es hier noch: Wenn Prinz Charles in London einen Empfang gibt, steht grundsätzlich englischer Sekt auf der Karte. Wenn etwas Ähnliches in Berlin stattfindet, wird leider das Billigste von irgendwo auf dem Globus serviert. Das zeigt, dass die weitere Entwicklung des Weinbaus in Deutschland noch immer sehr stark von Mentalität, Identifikation und Stolz für die eigenen regionalen Produkte abhängt. Ein durchschnittlicher Italiener zahlt für seinen Wein im Jahr genau das Doppelte wie ein Deutscher für den inländischen Wein. Das sagt leider schon viel aus.

Wie schätzen Sie nach vier Jahrzehnten Weinbau die Lage an der Hessischen Bergstraße ein? Es hat sich viel bewegt, neue Güter sind hinzugekommen, traditionelle haben aufgegeben.

Reinhard Antes: Wir stehen vor richtungsweisenden Entscheidungen. Diese Entwicklung macht auch vor der Bergstraße keinen Halt. Manche Weingüter haben schon aufgehört, weil entweder die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht mehr passten oder die Betriebsnachfolger fehlten. Bisher kamen zum Glück mutige Investoren mit branchenfremdem Kapital zur Übernahme, um sich ein Weingut zu „leisten“.

Seit 2021 gilt das neue Weingesetz in Deutschland – ein epochales Thema, das auch eine Menge Kritik hört. Statt auf dem Reifegrad der Trauben zum Lesezeitpunkt liegt der Qualitätsfokus nun auf der Herkunft der Weine. Wie stehen Sie dazu?

Reinhard Antes: Mal eine ganz provokative Aussage: Die Bergsträßer Winzer hätten das neue Weinrecht nicht gebraucht. Die objektiven Mindestkriterien der Weinqualität wurden ohnehin von allen Bergsträßer Betrieben seit Jahren deutlich übertroffen. Das alte Weinrecht war trotz 50 Jahren Gültigkeit für die meisten Verbraucher ein Buch mit sieben Siegeln. Das neue soll nun verbraucherfreundlicher sein. Hoffentlich sehen das die Verbraucher auch so. Nur dann wäre es epochal.

Wenn Sie einen Wunsch an die Politik frei hätten, wie würde der lauten?

Reinhard Antes: Hier gilt es ausdrücklich zwischen unseren regionalen Politikern sowie den Bundes- und vor allem den Europapolitikern zu unterscheiden. Ich wünsche mir zunächst, dass nicht nur unsere regionalen Vertreter und Landräte die nachhaltigen Qualitätsprodukte und Vorzüge ihrer Heimat stolz präsentieren, sondern dass auch die Interessensvertretung in Berlin und vor allem in Brüssel besser wird.
Interview: Thomas Tritsch