Vor Justitias Schranken wurden im zu Ende gehenden Jahr tragische, bewegende und auch skurrile Fälle verhandelt.

Dazu gehört auch ein Prozess, der nicht am Bensheimer Amtsgericht und nicht am Landgericht Darmstadt, sondern am Mainzer Landgericht stattfand und an dessen Ende die Verurteilung eines 32 Jahre alten Bensheimers wegen Mordes zu lebenslanger Haft stand. Der Mann erdrosselte nach Auffassung der Kammer im Juni 2021 eine 38-jährige Frau, die er im Februar 2021 über ein Kontaktportal kennengelernt hatte. In der folgenden Nacht übergoss er die Leiche mit Benzin und zündete sie an. Der Chemikant habe seit vielen Jahren ein Doppelleben geführt und sich im Internet Sexpartnerinnen gesucht. Weil sich die Frau offenbar eine festere Beziehung erhoffte, hatte sie ihm nach Auffassung des Gerichts eine Schwangerschaft vorgetäuscht.

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Insgesamt 4374 Masken-Atteste ,,auf Bestellung" soll eine Ärztin aus Weinheim einer Anklage der Staatsanwaltschaft zufolge ausgestellt haben. Während die Strafverfolgungsbehörde eine lange Haftstrafe fordert, beruft sich die Medizinerin auf umstrittene Untersuchungen und betont, ,,nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt“ zu haben. Ein Urteil wird erst 2023 gesprochen.

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In einem ganz anderen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stand eine Verhandlung vor dem Amtsgericht Darmstadt, in der es um üble Nachrede gegen den Bergsträßer Landrat Christian Engelhardt ging. Ein Mann aus Alsbach-Hähnlein wurde im März zu einer Geldstrafe von 3000 Euro verurteilt, weil er Strafanzeige gegen den Verwaltungschef gestellt und Engelhardt vorgeworfen habe, ,,mit Wissen und Wollen" eine endemische Lage ,,fingiert" und mit Verweis auf positive PCR-Tests unter anderem Personen isoliert und verhaften lassen zu haben.

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Verbotene Waffen und 600 Stück Munition - darunter 180 unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallende Leuchtspurmunition - hortete ein Justizbeamter aus dem Kreis Bergstraße. Dafür wurde er im Februar vor dem Bensheimer Amtsgericht zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt.

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Ein notorischer Raser wurde im März vom Amtsgericht Bensheim nach einem tödlichen Verkehrsunfall zu einer Geldstrafe von 12 750 Euro verurteilt. Der 72 Jahre alte Mann aus Nidda war auf der A 67 in der Gemarkung Lorsch mit überhöhter Geschwindigkeit in ein Stauende gerast und auf den Polo einer 25 Jahre alten Frau geprallt, die bei dem Unfall ihr Leben verlor.

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Zu langen Haftstrafen verurteilte das Landgericht Darmstadt im Juni drei Männer aus Niedersachsen, weil sie im Oktober 2019 eine Bensheimerin in deren eigener Wohnung brutal überfallen haben. Juristisch ausformuliert lautete der Tatvorwurf auf ,,besonders schweren Raub in Tateinheit mit Körperverletzung". Ein 48-Jähriger erhielt eine Strafe von sechseinhalb Jahren, einen 68-Jährigen verurteilte das Gericht zu 14 Jahren Gefängnis und einen 55-Jährigen sogar zu einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten.

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Aus Zorn und Verärgerung darüber, dass sich sein Schwager von der nächtlichen Kocherei des Angeklagten und den damit zusammenhängenden Gerüchen gestört fühlte und deshalb ein Küchenfenster öffnete, schlug ein 51 Jahre alter Deutsch-Amerikaner nicht nur mit einem Zimmermannshammer gegen Türen, Fenster und Wände und bedrohte seine Schwester, sondern steckte im Anschluss daran die Matratze seines Bettes in der Dachgeschosswohnung des Fachwerkhauses in der Zwingenberger Altstadt in Brand. Nach dem Verlassen des Hauses zündete er obendrein den Inhalt einer Altpapiertonne an. Nur der schnellen Reaktion und der Löschkette seiner Ex-Lebensgefährtin und Angehörigen sei es zu verdanken - so die Richterin am Amtsgericht Bensheim-, dass das Gebäude und womöglich die umliegenden Häuser nicht komplett abbrannten und keine Personen zu Schaden kamen. Das Urteil: zwei Jahre und sieben Monaten wegen versuchter schwerer Brandstiftung und Sachbeschädigung im Zustand verminderter Schuldfähigkeit.

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Der 32-Jährige, der im September 2021 einen Radfahrer im Bereich Wattenheimer Brücke zwischen Bensheim, Einhausen und Lorsch mit einem Messer mit großer Wucht in den Brustkorb gestochen hat und nur wenige Minuten später versuchte, einen zweiten Mann abzustechen, wird ,,zu seiner Besserung und zur Sicherung der Allgemeinheit" - so Vorsitzender Richter Volker Wagner am Darmstädter Schwurgericht bei der Urteilsverkündigung im April - für unbefristete Zeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Der gelernte Schweißer, der vor seiner Erkrankung bereits wegen zahlreichen Gewaltdelikten und Raubüberfällen mehrere Jahre im Gefängnis saß und bis zu seiner vorläufigen Festnahme am Abend des 28. September 2021 in einer Obdachlosenunterkunft in Bensheim lebte, fühlt sich seit etwa drei Jahren von ,,Maschinen ferngesteuert". Seiner festen Meinung nach wurde er bei der Messerattacke durch einen ,,Maschinenangriff eingeschaltet."

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Drei junge Männer wurden im August von Untaten aus der Vergangenheit eingeholt: In den Jahren 2018 und 2019 waren sie im Kreis Bergstraße an verschiedenen brutalen Angriffen beteiligt. Dass die Vorfälle so lange zurückliegen, kam den Angeklagten im Prozess am Amtsgericht Bensheim zugute. Einer wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, für die beiden anderen galt aufgrund ihres damaligen Alters das Jugendstrafrecht - sie kamen mit Verwarnungen davon und müssen die Prozesskosten tragen. Um drei Vorfälle ging es in dem Prozess: einen Angriff vor einer Shisha-Bar im Frühjahr 2018. Im Januar 2019 wurde zwei der drei Männer in einem Heppenheimer Lebensmittelmarkt beim Diebstahl erwischt. Als die beiden damit konfrontiert wurden, schlugen sie brutal auf einen Mitarbeiter ein, der eine Gehirnerschütterung und eine gebrochene Hand davontrug. Der dritte Fall ereignete sich im März 2019 in einer Regionalbahn von Bensheim nach Heppenheim und am dortigen Bahnhof. Der älteste Angeklagte soll ohne Fahrschein gefahren sein. Als ihn ein Zugbegleiter kontrollierte, schlugen er und weitere Personen - darunter der dritte Angeklagte, auf den Bahn-Mitarbeiter ein. Nachdem sie den Zug verlassen hatten, schlug einer von ihnen noch den Lokführer nieder, der aus dem Führerhaus ausgestiegen war, um nachzusehen, was los war.

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Nach einer Giftattacke an der Technischen Universität Darmstadt vom August 2021 ist eine 33-Jährige Anfang Dezember vom Landgericht Darmstadt zu einer vorerst unbefristeten Unterbringung in einer geschlossenen Psychiatrie verurteilt worden. Die ehemalige Studentin aus Mainz hatte zuvor ein Geständnis abgelegt. In einer von ihrem Verteidiger Björn Seelbach vorgetragenen Erklärung schilderte sie, dass sie 2020 und 2021 Stimmen gehört habe. Sie habe sich verfolgt gefühlt, auch von Angehörigen ihres Fachbereichs Materialwissenschaften der TU.

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Neben all diesen tragischen Momenten vor Gericht kam es auch zu skurrilen Situationen, als beispielsweise im März ein Prozess wegen Kinderpornografie vor dem Amtsgericht Bensheim ausgesetzt werden musste, weil der Angeklagte mit rund fünf Litern Bier intus zur Verhandlung erschienen war. Alkohol spielte auch in einem anderen Fall eine Rolle: In einem Prozess um Körperverletzung in einer Obdachlosenunterkunft erschien im September vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Darmstadt ein zahnloser Zeuge mit zwei Promille. Da dieser Wert - von zwei Zeugen bestätigt - als "durchschnittlich" für den Mann zu bewerten sei, wurde er dennoch als vernehmungsfähig eingestuft. Kai Segelken