Bensheim. Die Bilder und Nachrichten aus der Ukraine machten und machen betroffen, erschütterten auch die Menschen in der Region und lösten Entsetzen aus ob der Handlungen und Haltung des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie führten aber auch zu einer Solidarität und einem Engagement, von dem man nicht unbedingt ausgehen konnte.

Beispiele von großen und kleinen Taten, aufmunternden und ermutigenden Gesten ließen sich viele in Bensheim und Umgebung finden. Kinder organisierten Hofflohmärkte, um Verkaufserlöse spenden zu können. Oder sie packten Spielsachen und Süßigkeiten für Hilfstransporte. In Schulen mehrten sich nicht nur blau-gelbe Veranstaltungen mit hoher Symbolkraft, es gab ebenso verstärkt Spendenaufrufe.

Auf dem Marktplatz versammelten sich an mehreren Wochenenden Menschen zu Kundgebungen und Demonstrationen für den Frieden und für die Menschen in der Ukraine. Parteien, Wählergemeinschaften, Jugendorganisationen, Privatpersonen, Vereine – sie alle riefen dazu auf, ein Zeichen gegen das barbarische Vorgehen im Osten Europas zu setzen

Vereine beluden zudem Transporter und begaben sich auf den Weg zur polnisch-ukrainischen Grenze. Menschen stellten Wohnraum zur Verfügung. Die Solidarität verlief und verläuft immer noch quer durch die gesamte Gesellschaft. An die Spitze der Bewegung setzten sich im Frühjahr die Vereine Wir sind Bergstraße und Tour der Hoffnung. „Wir haben uns gefunden und sind gemeinsam stark“, fasste Vorsitzende Bianca Scholz zu Beginn der fruchtbaren Kooperation zusammen.

Der immense Einsatzwille hat seitdem nicht mehr nachgelassen – das Gegenteil dürfte eher der Fall sein. Mitte Dezember ging der siebte Hilfstransport von Bensheim aus in die Ukraine, Ziel dieses Mal Charkiw. Zuvor hatten die Männer und Frauen bereits tonnenweise Material in den Osten geschafft. Jürgen Pfliegensdörfer, zweiter Vorsitzender der Tour der Hoffnung, fuhr zu Beginn selbst mit vollbepackten Ladeflächen in die Grenzregion auf polnischer Seite.

In einer Halle auf dem Gelände der Firma Sartorius in Bensheim entstand ein Sammellager, das sich immer dann schnell füllte, wenn die Vereine öffentlich um Unterstützung und Spenden warben. Gebraucht wurde und wird nach wie vor sehr viel. Schlafsäcke, Matratzen, Isomatten, warme Kleidung, teilweise Wasser und haltbare Lebensmittel, Batterien, Taschenlampen, Hygieneartikel, Zelte, Windeln – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Weil die Ehrenamtlichen schnell ein gutes Netzwerk vor Ort aufbauten, konnten sie zügig und punktuell genau das liefern, was tatsächlich am dringendsten benötigt wurde. „Das Netzwerk ist so groß und stark, dass wir von überall her Unterstützung erfahren und die Hilfsangebote bündeln und koordinieren – nicht zu vergessen die große Anzahl freiwilliger Helfer, die im Ehrenamt packen, transportieren und koordinieren. Alle halten zusammen. Es ist wirklich überwältigend“, konstatierte Bianca Scholz, die allen, die sich einsetzen, herzlich dankte.

Die Vereine beschränkten ihr Engagement aber nicht nur auf die Transporte in die Ukraine. Nachdem die Zahl der Geflüchteten an der Bergstraße aus den Krisen- und Kriegsgebieten zunahm, kümmern sich die Helfer auch um die Menschen, die mit wenigen ihrer Habseligkeiten in Deutschland Schutz suchen.

In der Zeltstadt am Berliner Ring organisierten sie Freizeitprogramme, Friseurbesuche, bestückten die Kinderecke mit Spielsachen, halfen aus, wo Not am Mann war und ist und standen den Frauen, Kindern und Männern zur Seite, wenn es um die Bewältigung des Alltags ging. Mit ihrem Peace-Shuttle, einem privaten Kleinbus, fahren sie nicht nur vor Ort Hilfsgüter durch die Region, sie fungieren auch als „Taxi“ – etwa um Kinder und Jugendliche von A nach B zu bringen, damit diese einem Hobby nachgehen können.

Mit dem Familienzentrum Bensheim haben sich die Verantwortlichen schon nach kurzer Zeit mit einem dritten Protagonisten zusammengeschlossen, um Kräfte zu bündeln und Aktionen zu starten. Das Familienzentrum dient ebenfalls seit Kriegsbeginn als Anlaufstelle, in der sich die Menschen aus der Ukraine treffen können, Unterstützung erfahren, Sprachkurse belegen können und Kinder betreut werden.

Weil der Andrang im Café Storch in der Fußgängerzone bei den regelmäßigen Zusammenkünften immer größer und ein enormer Bedarf festgestellt wurde, stellte die Stadt den ehemaligen Kinderhort in der Jaco-bLöhr-Straße in Auerbach als Ausweichquartier zur Verfügung.

Das Gebäude sollte eigentlich saniert werden, um zwei Kindergartengruppen aufzunehmen. Diese Arbeiten wurden vom Eigenbetrieb Kinderbetreuung aber zurückgestellt, um das Angebot des Familienzentrums auf ein räumlich stabiles Fundament zu stellen. Der zunächst bis Ende dieses Jahres befristete Vertrag wurde nun um ein weiteres Jahr verlängert, weil die Begegnungsstätte weiterhin gebraucht wird.

Und so ging in den vergangenen Monaten ein Leuchtfeuer der Hoffnung aus unserer wohlhabenden Region aus, mit einer bedeutsamen Botschaft: Die Bergstraße zeigt in diesem internationalen Schreckensszenario, was Nächstenliebe, Mitgefühl und Zusammenhalt bedeuten. Und das übrigens nicht nur für die Geflüchteten. Auch die Bensheimer Tafel wurden seitdem immer wieder von den Vereinen gezielt unterstützt. Dirk Rosenberge