Können Sie sich daran erinnern, wie Sie sich als Kind oder Jugendlicher die Zukunft und Ihr eigenes Leben vorgestellt haben? Haben sich Ihre Träume erfüllt oder schauen Sie auf die Wünsche Ihrer Kindheit etwas ratlos und kopfschüttelnd, weil Sie damals glaubten, später einmal ins All zu fliegen, mit Raubtieren im Zirkus aufzutreten, Tiere im Zoo zu pflegen, in Hollywood einen Oscar zu gewinnen, in Paris für ein Modehaus Kleider zu entwerfen oder sie auf dem Laufsteg zu tragen?

Vielleicht wollten Sie auch ein Orchester dirigieren oder darin die erste Geige spielen oder später lieber „Bagger fahren“. Eventuell sind Sie desillusioniert, weil Sie den Warp-Antrieb immer noch nicht entwickelt haben und es auch keinen Nobelpreis für eine andere wissenschaftliche Entdeckung gab. Standen auf der Liste Ihrer Kindheit nicht noch die Erfindung der Zeitmaschine und die Realisierung eines Laserschwerts?

Träume hatten wir doch alle als Kinder, nichts schien unmöglich. Wir sahen uns schon bald über die Weltmeere fahren an Bord von Jacques-Yves Cousteaus Calypso oder bei spektakulären Dreharbeiten an der Seite von Heinz Sielmann. Wer erwartet als Kind denn später einen Acht-Stunden-Tag mit eigenem Schreibtisch oder einen Platz an einer computergesteuerten CNC-Maschine. Keiner hatte die Stechuhr, die Schichtarbeit, den Zeitdruck und die Pflichterfüllung auf der Liste. Kürzlich stieß ich beim Aufräumen auf einen Karton mit der Aufschrift „Kindheitserinnerungen“. Was für ein Schatz sprang mir da beim Öffnen entgegen. Nein, kein Gold, keine Edelsteine, sondern ein Sammelsurium von gemalten Bildern, Texten und Briefen, die mein Vater für mich gesammelt hatte, um es für den erwachsenen Thomas zu bewahren. Unter Briefen ans Christkind und für die liebste Mama zum Muttertag auch einen Schulaufsatz aus der 7. Klasse: „Wie stelle ich mir meine Zukunft vor“.

„Ich möchte einmal Archäologe, Koch oder Verhaltensforscher werden“, hatte mein 13-jähriges Ich damals geschrieben. Archäologe wollte ich noch werden, als ich in der Oberstufe war, denn schon sehr früh hatte ich mich für Geschichte interessiert. Ob Alexander der Große, Cäsar oder Hannibal, der mit Elefanten die Alpen überquert hat, ich war elektrisiert, wenn mein Vater von all dem erzählt hat. Und dann bekam ich ein Buch über die großen Entdeckungen der Archäologie geschenkt und es beflügelte meine Fantasie: Schliemann und Troja, Carter und Tutanchamun – „Thomas Neu und das Grab von König Artur“ so würde es vielleicht mal zu lesen sein. Daraus wurde nichts! Der Berufswunsch Koch entwickelte sich aus einem elektronischen Kinderherd, den meine Schwester hatte und auf dem ich Max Inzinger nacheiferte, der in der ZDF-Sendung „Drehscheibe“ als Fernsehkoch auftrat, lange vor all den Lafers, Mälzers und Hensslers dieser Welt.

Die Träume unserer Kindheit-2
Thomas Neu als Jugendlicher mit seinem Zündapp- Motorrad. Bild: Thomas Neu

Meine Kochkünste blieben leider sehr rudimentär und eine Kochausbildung meinerseits wurde ad acta gelegt. Und dass meine dritte berufliche Alternative mit 13 Jahren Verhaltensforscher war, muss an einem Film über Konrad Lorenz und seine Graugänse gelegen haben. Dann fand ich im Karton sogar schriftliche Aufzeichnungen über meine frühe Leidenschaft für die Verhaltensforschung an Tieren. „Mein Terrarium“ stand da als Überschrift über meiner ersten Abhandlung auf den Spuren des großen Lorenz.

Im Alter von zwölf Jahren hatte ich das Verhalten meiner Zauneidechsen, die ich am Bahndamm gefangen hatte, beobachtet und beschrieben. Nach sieben Seiten war meine Geduld zu Ende oder die restlichen Beobachtungen sind verschollen… Ich vermute Ersteres! Weiter schreibe ich in dem Schulaufsatz davon, dass mein erstes Auto ein 2CV sein soll und mein Wunschmotorrad eine Kawasaki 500 war. Thomas, der Motorradfahrer – das hatte ich vergessen? Drei Jahre, nachdem ich diesen Schulaufsatz geschrieben hatte, kaufte ich mir für 300 Mark ein gebrauchtes Zündapp Mokick. Das Glück auf zwei Rädern dauerte nur einen Sommer lang, dann nahm mir ein Autofahrer die Vorfahrt und ich flog in hohem Bogen auf den Asphalt. Eine Lederjacke und ein sehr guter Helm retteten mir das Leben, und es folgte der Entschluss: Ich werde nie mehr Motorrad fahren.

Mein erstes Auto war dann keine Ente, kein Bulli und auch kein Käfer, sondern ein gebrauchter alter beigefarbener Ford Fiesta. Ein Auto ohne Erinnerungsmythos und Sentimentalität. Und der Wunschberuf? Dass die von mir gewählten Studienfächer VWL und Politische Wissenschaft ein Fehler waren, das merkte ich recht schnell – und ich beschloss, mein Hobby zum Beruf zu machen. Als ich meinen Eltern eröffnete, dass ich mein Studium aufgeben will, um Fotograf zu werden, sagte mein Vater sofort den entscheidenden Satz für mein ganzes Leben: „Wenn du glaubst, dass es das Richtige für dich ist, dann mach es!“ Thomas Neu