Die Bücherei der Gemeinde Lautertal ist zwar etwas kleiner als die Bibliotheken mancher Städte, dennoch kann sie – gemessen an ihrer Größe – mit ihnen mithalten. Alte und verstaubte Schmöker suchen die Besucher hier vergebens. Wer mit dem Gedanken: „Was kann eine Bibliothek einer kleinen Gemeinde schon bieten?“ die Bücherei im Rathaus in Reichenbach besucht, der kommt aus dem Staunen nicht heraus. Der Weg führt im Rathaus die Treppen – oder über den Fahrstuhl – hinauf. In der obersten Etage unter dem lichtdurchfluteten Dach sind im offenen Flur die Regale aufgestellt. Fein sauber durchnummeriert und katalogisiert und nach Themen geordnet ist hier zeitgemäße Literatur für jeden Geschmack zu entdecken. Selbst für Kinder aller Altersklassen gibt es einen Bereich, in dem sich bestimmt etwas finden lässt. Und auch für Jugendliche gibt hier Bücher, die sie interessieren werden. Gut 2000 Exemplare warten auf die Leserschaft. Mit Haushaltsmitteln aus der Gemeindekasse können jedes Jahr rund 20 weitere Bücher angeschafft werden.

Christina Metzger, unterstützt von ihrem Sohn Jan, hat die Bücherei im Griff. „Besonders beliebt sind die Kriminalromane und Thriller“, berichten sie. Wer in seiner Freizeit lieber in einem Roman versinkt – bitte. Das Angebot von Unterhaltungsliteratur ist groß – so ziemlich alles, was unter den Begriff der Belletristik gefasst wird, wartet hier auf Leser. „Leider interessieren sich heute nur noch wenige Menschen für Schiller und Goethe oder Gottfried Keller. Die Bücher sind aber auch da.“ Christina Metzger räumt regelmäßig auf, doch sie bringt sie es nicht übers Herz, die alten Schätze zu entsorgen. Ein Blick hinein lohnt auf jeden Fall. Märchenbücher und eine kleine Auswahl von Karl May gibt es auch.

Die Bücherei in Reichenbach geht auf das Jahr 1907 zurück. Dem Schullehrer Keil lag es am Herzen, dass die Menschen Bücher lasen. Er kümmerte sich um einen „Leseverein“. Seine Schüler hatten die Aufgabe, durch das Dorf zu gehen und bei der Stammkundschaft regelmäßig die gelesenen Bücher gegen neue auszutauschen. Fein säuberlich wurde notiert, wer gerade welches Buch zu Hause hatte.

Die Bücher kamen in das evangelische Gemeindehaus, und im April 1947 stimmten Bürgermeister Wilhelm Jährling und Pfarrer Georg Mager zu, dass die Bücherei des ehemaligen Lesevereins aus 275 Werken in die Verwaltung der Arbeiterwohlfahrt Reichenbach übernommen wird. „Damit die Bücher der Allgemeinheit zum Lesen zugänglich gemacht werden.“ Ein Herr Dr. Korger wurde zum ehrenamtlichen Buchwart ernannt.

Der Buchwart war überlastet

Ihm gelang es nicht nur, Ordnung in die Sammlung zu bringen, sondern auch dafür zu sorgen, dass neue Bücher nach Reichenbach kamen. Interessant ist eine Verbindung zur hessischen Volksbücherei im Darmstädter Schloss. Von hier aus wurden Bücher vergeben, die in Reichenbach weiterverliehen werden konnten. So kamen immer wieder neue Bücher hierher – mit dem Erfolg, dass die Leserschaft wuchs. Die Bücherei wurde Mitglied im Leserring, und die Gemeinde Reichenbach unterstützte den Ankauf neuer Bücher. Die Zahl der ausleihbaren Werke wuchs auf 1000. Bis zu 160 regelmäßige Leser und eine Ausleihe von rund 3000 Büchern gab es 1952.

Das überstieg die Arbeit eines ehrenamtlich tätigen Buchwartes. Ein Anschreiben um Unterstützung bei der Gemeinde blieb aber ohne Antwort. In der Folge wurde die Bücherei geschlossen. Nun war der Ortsverein der Arbeiterwohlfahrt wieder gefragt, eine Lösung zu finden. In einem Protokoll ist zu lesen, dass im Jahr 1953 die gesamte Volksbücherei „mit einem Buchbestand von 1010 Bänden und drei Schränken“ an die Gemeinde Reichenbach übergeben wurde. Der Bücherleiter sollte eine kleine Aufwandsentschädigung bekommen, und von einer jährlichen Subvention von 500 Mark ist die Rede.

Die Bücher kamen im alten Rathaus unter, ab 1976 wurden sie in die ehemalige Jugendherberge umgesiedelt. Seit 2014 sind die Bücher nun im neuen Trakt des Rathauses untergebracht. „Beim Umzug haben wir gründlich aufgeräumt“, erzählt Christina Metzger. Seit 1995 betreut sie die Bibliothek, eigentlich ist sie in die Aufgabe hineingewachsen. Zuvor kümmerte ihre Mutter Christel Kindinger sich 40 Jahre lang um die Bücher. In ihre Fußstapfen wird ihr Sohn Jan treten. Mit Freude ist der 30-Jährige schon dabei. „Wir haben auch Sonderveranstaltungen, die richtig Spaß bereiten. Wie das Vorlesen für Kinder, das Kaffeetrinken mit der Vorstellung neuer Bücher. Wir hatten auch schon eine Autorenlesung mit Julia Scales.“

Zu den Ausleihzeiten – dienstags von 17 bis 18 Uhr und donnerstags von 17.30 bis 18.30 Uhr – ist die Bücherei ein Kommunikationszentrum. Von den 80 eingetragenen Lesern haben immer welche Zeit für ein Schwätzchen. „Sie kommen aus der ganzen Gemeinde“, wissen Jan und Christina Metzger. Neue Leser sind immer willkommen. Die Ausleihe kostet zehn Cent pro Woche. Je länger gelesen wird, umso teurer wird es, ist die einfache Regel. Wünsche von der Leserschaft sind immer willkommen, gerade wenn es um Neuanschaffungen geht. Jutta Haas