Segelfliegen hat in Bensheim eine lange Tradition – schon 1929 gab es erste Starts, die Segelfluggruppe wurde 1951 gegründet. Derzeit zählt der Verein 220 Mitglieder, darunter 100 Aktive.        

Sie sprechen von einer Parallelwelt. Von einem ganz eigenen Kosmos, in dem man mit sich selbst und den Naturgewalten allein ist. Der Kopf ist frei, und der Geist kreist sanfte Bahnen. Immer auf der Spur der besten Thermik und getragen von den unsichtbaren Wellen des Windes. Wem das allzu poetisch klingt, der hat sich noch nicht mit einem passionierten Segelflieger unterhalten. 
        

Wenn nach dem Abheben das Seil fällt und über Funk das Kommando „frei!“ kommt, dann sind die Piloten der leichten Gleiter voll in ihrem Element. „Frei“, das sei sogar einer der Schlüsselbegriffe in diesem luftigen Sport, der in Bensheim eine lange Tradition hat: Schon 1929 hatten sich rund 20 junge Leute entschlossen, mit der Fliegerei anzufangen – mitten in der ersten großen Phase der Segelflugbewegung in Deutschland. 1951 wird der Verein gegründet, acht Jahre später starten und landen die Piloten auf einem eigenen Fluggelände auf den Bensheimer Stadtwiesen nahe Schwanheim. 
   

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Franziska Pawel ist eine von etlichen jungen Pilotinnen bei den Bensheimer Segelfliegern. Mit 17 Jahren hebt sie schon regelmäßig ab. Bilder: Thomas Neu

Heute gibt es 220 Vereinsmitglieder, davon sind über 100 aktiv. Unter den Mitgliedern sind alle Alters- und Berufsgruppen vertreten. Eine Besonderheit ist der hohe Frauenanteil von knapp 20 Prozent. Im Durchschnitt haben Luftsportvereine einen weiblichen Anteil von unter zehn Prozent. Doch nicht nur die Quote ist besonders: In Bensheim sind die Damen in allen Bereichen des Vereinslebens aktiv. Im Vorstand ebenso wie in der Werkstatt, es gibt Fluglehrerinnen und Schlepppilotinnen, Windenfahrerinnen und Streckenpilotinnen, Flugleiterinnen und Ausbilderinnen. Frauen gehen hier schon seit den 60er Jahren in die Luft. Roswitha Gaber war damals eine der ersten Flugschülerinnen. 
   

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Ein buntes Mosaik aus Feldern, Wäldern und Städten – die Bergstraße von oben aus einem Segelflieger zu betrachten, ist ein ganz besonderes Erlebnis. Bild: Thomas Neu

„Die meisten sind Flugplatzkinder“, sagt Ulrike Pawel. Die Pilotin, Pressereferentin und Kennerin der Vereinsgeschichte betont, dass sich der Nachwuchs in erster Linie aus Mitgliedsfamilien speist, die in die Szene hineingewachsen sind. Sie weiß das allzu gut. Tochter Franziska ist 17 und seit Jahren mit Begeisterung dabei. Ein Musterbeispiel.

Viele Nachnamen der aktiven Mitglieder verweisen auf die Biografie der Bensheimer Segelfluggruppe und auf die Akteure, die diesen Verein so stabil, groß und erfolgreich gemacht haben. Etwa Schader oder Schambach, Wünsch oder Wahlig. Oder Pawel. Ihre Eltern haben den Verein ebenfalls mitgeprägt. Die KA 8, mit über 60 Jahren der Senior im Hangar, haben drei Generationen der Familie schon geflogen. Der Stammbaum der Bensheimer Segelflieger wurzelt tief und ist weit verästelt. Das Wir-Gefühl wiegt schwer. Umso mehr haben die Mitglieder unter den Einschränkungen seit Beginn der Pandemie gelitten. Der Verein selbst kam bislang aber stabil durch die Krise. Allein über der Erde – mehr Distanz und frische Luft geht einfach nicht. 
  

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Pilotin Kerstin Weber im Schlepperflugzeug Aviat Husky. Bild: Thomas Neu

Auch die Dynamik in der Jugendgruppe dauert an. Fast 40 Prozent der Mitglieder sind unter 30 Jahre jung. Bereits mit 14 Jahren kann man eine Ausbildung beginnen. Die Sparte ist im Leistungssport erfolgreich und im Gesamtvorstand mit einer starken Stimme vertreten. Alt und Jung gemeinsam ist das Bestreben, das Segelfliegen für jeden zu öffnen und ihm den Nimbus der Exklusivität zu nehmen. „Der Sport ist nicht teuer, aber kostbar“, so Ulrike Pawel. Sie meint den Zeitaufwand. Die regelmäßige technische Wartung ist oberstes Gebot. Die eigene Werkstatt ist als luftfahrttechnischer Betrieb offiziell anerkannt.

Die gegenseitige Hilfe schweißt zusammen und schafft maximales Vertrauen, bestätigt auch Segelflugreferent Lukas Etz. 2016 hob er zum ersten Mal ohne Fluglehrer ab. Seit 1988 war er aktiver Drachenflieger, unter anderem Mitglied der deutschen Nationalmannschaft. Die Hänge des Melibokus kennt er praktisch auswendig. Die Landschaft sieht aus einem Segelflugzeug auch nicht anders aus. „Aber mich reizt die Technik und die Tatsache, dass hier alleine so gut wie gar nichts geht“, sagt der amtierende Hessenmeister der Clubklasse. Es brauche ein Team, um in die Luft zu kommen. Das gefällt ihm. Zudem sind die Flüge länger und weiter. 
    

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Ulrike Pawel (r.), Pressereferentin der Bensheimer Segelflieger, und ihre 17 Jahre alte Tochter Franziska – beide sind begeisterte Pilotinnen. Bild: Thomas Neu

Lukas Erz hat daraus eine persönliche Herausforderung gemacht: Der längste Langstreckenflug des mehrfachen Vereinsmeisters ging über elf Stunden. „Jeder einzelne Flug ist einzigartig und besonders.“ Er schwärmt aber auch von den dezentralen Meisterschaften, die während der Flugsaison über das Internet ausgetragen werden. Sieger in den einzelnen Kategorien ist derjenige, der am Ende die meisten Punkte erflogen hat.

Rein fliegerisch war die letzte Saison nicht allzu prickelnd: Mit rund 47000 Streckenflugkilometern meldet der Verein eine magere Bilanz. Im Rekordjahr 2018 lag die Distanz bei 90000 Kilometern. Allerdings haben die Bensheimer den Klassenerhalt in der 2. Bundesliga geschafft. Und der Lorscher Uwe Wahlig wurde Weltmeister in der Clubklasse beim internationalen Vergleich in Montluçon-Guéret (Frankreich). Sein persönlicher Distanzrekord liegt aktuell bei 998 Kilometern. 
   

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Beim Segelfliegen geht es hoch hinaus. 3000 bis 4000 Höhenmeter sind von Bensheim aus möglich, wenn es Richtung Pfalz geht. Der Höhenweltrekord liegt bei 15000 Metern. Profis schaffen ein Durchschnittstempo von bis zu 180 Stundenkilometern über ein bis zwei Stunden Dauer. Ohne Motor, versteht sich. Ab 120 km/h stößt man so langsam in die oberen Sphären der Top-Piloten vor.

Aber auch beim langsameren Gleiten in weitaus tieferen Gefilden kann der Sport psychisch und körperlich anspruchsvoll sein, wie Franziska Pawel erklärt, die bei den Hessen-Meisterschaften der Juniorinnen den dritten Platz belegte.

Schon mehrmals war sie fünf bis sechs Stunden in der Luft. Dies sei physisch und mental recht anstrengend. „Man ist hochkonzentriert, aber man bekommt auch den Kopf frei von den Problemen und Sorgen am Boden“, so die junge Pilotin, die im nächsten Jahr ihr Abitur macht. 
   

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Ohne gegenseitige Hilfe und Unterstützung geht es auf dem Flugplatz nicht: Das Gemeinschaftsgefühl ist groß. Bild: Thomas Neu

Zwar sei die Ausbildung vor allem im theoretischen Teil mit Fragen zu Technik, Meteorologie, Luftfahrt und Navigation enorm umfangreich, doch spätestens beim ersten Soloflug werde man für allen Aufwand mehrfach entschädigt. Die junge Frau ist aber auch an der Technik interessiert. Wenn man die versteht, sei das Fliegen umso faszinierender, weil man unmittelbar den Effekt des eigenen Handels zu spüren bekomme.

Aktuell hat der Verein neun Segelflugzeuge sowie einen Motorsegler und ein Schleppflugzeug Husky im Bestand. 16 ehrenamtliche Fluglehrer bilden momentan 26 Schüler aus. „Wer einsteigen will, kann immer bei uns anklopfen“, so Ulrike Pawel, die nicht nur am Boden das Gemeinschaftsgefühl mit den Kollegen schätzt, sondern auch in der Luft: Man sei zwar allein im Cockpit, aber letztlich immer mit den anderen vernetzt. Wie ein kleiner Vogelschwarm in der Luft. An der Sache mit der Parallelwelt scheint wirklich etwas dran zu sein. Thomas Tritsch 
    

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