Aus sechs Monaten wurden fast vier Jahre, aus einem zeitlich befristeten Leerstands-Projekt wurde eine echte Herzenssache. Die Laden-Galerie „Krämer reloaded“ in den Räumen des ehemaligen Kaufhauses hat sich zu einer Bensheimer Erfolgsgeschichte entwickelt. Die aber nun, trotz aller Liebe und Leidenschaft, die Daniela Recktenwald investiert hat, im Dezember ein Ende finden muss. In dem weitläufigen Gebäudekomplex zwischen Haupt- und Bahnhofstraße sollen bald die Sanierungs- und Umbauarbeiten beginnen.Die verbleibende Zeit zählt die Inhaberin mit einem Maßband – eine Holzklammer zeigt an, wie viele Tage bis zur Schließung noch übrig sind. 108 waren es beim Besuch des Stadtmagazins Mitte September. Die Wehmut ist Daniela Recktenwald deutlich anzumerken. „Das darf, das muss so sein“, bemerkt die kreative Kunstliebhaberin. „Es ist, wie eine große Liebe loszulassen.“ Gleichzeitig sei sie „sehr, sehr dankbar“ für die Zeit. „Ich habe viel gelernt und es gab vieles, das mich geprägt hat.“

Eigentlich sollte nur vorübergehend ein Leerstand überbrückt werden. Doch die LadenGalerie „Krämer reloaded“ von Daniela Recktenwald wurde zum echten Volltreffer – trotzdem ist Ende des Jahres Schluss.

Barbara Cimander

Dass ihr ganzes Herz an „Krämer reloaded“ hängt, merkt man als Besucher, sobald man die eindrucksvollen Räume – vor mehr als 100 Jahren geplant von Heinrich Metzendorf – betritt. Kunst, Handwerk, Accessoires und Dekoratives bis buchstäblich unter die Decke, arrangiert und ausgestellt mit viel Liebe zum Detail und einem Händchen für Gestaltung. Die Vielfalt und Fülle ist groß, der Blick schweift durch den Raum und bleibt immer wieder an neuen schönen Objekten hängen.

Fast alles, was Daniela Recktenwald hier ausstellt und zum Verkauf anbietet, wurde von Künstlerinnen und Kunsthandwerkern aus der Region und darüber hinaus handgefertigt. „Kein Mainstream, nichts von der Stange“, bringt sie die Philosophie ihres Ladens auf den Punkt. Ergänzt werden die Unikate von alten Gläsern, Geschirr und Wohnaccessoires, die beispielsweise aus Haushaltsauflösungen oder von französischen Flohmärkten stammen („Sachen vor dem Wegwerfen zu retten, ist eine große Leidenschaft von mir“). Daneben stehen Produkte wie Weine, Marmeladen, Essig und Öle von der Bergstraße, aus der Pfalz oder dem Odenwald in den Regalen.

Im Mittelpunkt aber steht die Kunst. Regionalen und überregionalen Künstlern eine Plattform bieten – das war von Beginn an das große Anliegen von Daniela Recktenwald. „Hier gibt es Originale zwischen 3,90 und 3000 Euro“, betont die Inhaberin die große Bandbreite von „Krämer reloaded“. Im März 2019 ging der Laden an den Start – als Projekt des Vereins „Bensheim Aktiv“, in dem auch Daniela Recktenwald Mitglied ist. Ziel war, einen prominenten Leerstand in der kurz zuvor von der Marketing- und Entwicklungsgesellschaft Bensheim erworbenen Immobilie zwischenzeitlich mit Leben zu füllen.

Zunächst war „Krämer reloaded“ in erster Linie als Galerie gedacht, in der verschiedene Künstler ihre Werke ausstellen. Doch das Projekt entwickelte sich immer weiter – auch dank der vielen Beziehungen zur Kunstszene und Daniela Recktenwalds unermüdlichem Einsatz. „Es hat sich angebahnt, dass das hier gut ankommt“, erklärt sie. Nach dem ersten halben Jahr unterschrieb Recktenwald, die hauptberuflich bei der Sparkasse Bensheim arbeitet, einen Mietvertrag über drei Jahre – und wurde so zur Geschäftsfrau und Unternehmerin.

Welch turbulente Zeiten auf den Einzelhandel zukommen würden, konnte sie damals noch nicht ahnen. Als im Frühjahr 2020 die Corona-Pandemie auch nach Deutschland schwappte, kam schon bald der erste von mehreren Lockdowns – und wie die meisten Geschäftsleute musste auch Recktenwald ihren Laden vorübergehend schließen. Es folgten verschiedene Phasen, in denen unterschiedliche Regeln galten: vom Lieferservice (per Rad) über Schaufenster-Shopping und Terminvereinbarungen bis zur Luca-App und 2-G-Regel.

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Kunst, Kreatives und vieles mehr: Bei „Krämer reloaded“ gibt es viel zu sehen und zu entdecken. Bilder: Thomas Neu

„Corona war eine schwere Zeit“, blickt Recktenwald zurück. Doch der Zusammenhalt unter den Bensheimer Einzelhändlern sei toll gewesen. „Wir haben uns viel Neues überlegt.“ Gerade in der Zeit der Pandemie wurde die Galerie eine wichtige Anlaufstelle für Künstler, berichtet Recktenwald. „Postkarten und Drucke gehen immer“, nennt sie ein Beispiel. Und auch andere Kulturschaffende hat sie mit kreativen Aktionen unterstützt: Der Erlös von zwei Versteigerungen in der Galerie kam dem Musiktheater Rex und dem Festival „Vogel der Nacht“ zugute.

Ein Schwerpunkt von „Krämer reloaded“ waren in all der Zeit die Ausstellungen im ersten Stock. Über eine breite Treppe geht es hinauf ins Obergeschoss, das für die Präsentation großer (und kleiner) Kunstwerke geradezu ideal ist. Über 20 Ausstellungen hat Daniela Recktenwald hier auf die Beine gestellt – mit weit über 50 verschiedenen Künstlern. Als letzte Ausstellung in der Galerie läuft noch eine Werkschau mit Bildern von Henrich Förster.

Heimlich, still und leise wird sich Daniela Recktenwald aber nicht aus dem Kaufhaus Krämer verabschieden – ganz im Gegenteil. Nach dem Räumungsverkauf im Dezember – auch die Inneneinrichtung wie Regale oder Tische werden unter das Volk gebracht –, folgt zum Abschluss am 28. Dezember eine Party mit Live-Musik. „Am 29. und 30. Dezember wird aus- und aufgeräumt und am 31. geht der Schlüssel zurück an die MEGB“, zählt Daniela Recktenwald auf. Was nicht verkauft wurde, wird größtenteils als Kommissionsware an die Künstler zurückgegeben, Einrichtungsgegenstände und Inventar will die Geschäftsfrau an den fairen Möbelmarkt „Teil und Habe“ in Heppenheim spenden. „Ich habe mir damit einen Traum erfüllt“, sagt Daniela Recktenwald über „Krämer reloaded“. „Und es hat sich sogar gerechnet“, so die Unternehmerin. Sie spricht von einer „verrückten Idee“, die aber auf einem guten finanziellen Fundament gestanden habe. „Das ist eine großartige Bilanz. Ich bin froh und stolz, das geschafft zu haben.“ Über 750 Bilder und Skulpturen hat sie in den knapp vier Jahren verkauft. Ein echter Renner waren die bunten Papiervögel für wenige Euro von Anneke de Radt aus Heppenheim – der meistverkaufte Artikel, von dem fast 2000 Stück, jedes ein Unikat, über die Ladentheke gingen.

Neue Ideen im Kopf: "Ich komme zurück mit neuen Projekten“, verspricht Daniela Recktenwald. Ihre Kreativität soll der Bensheimer Innenstadt erhalten bleiben."

Und wie geht es für Daniela Recktenwald weiter, wenn sie am 31. Dezember in der Galerie den Schlüssel rumdreht? „Dann mache ich erstmal eine Verschnaufpause – das habe ich auch meinem Mann versprochen“, sagt sie augenzwinkernd. Ihre Kreativität soll der Bensheimer Innenstadt aber weiter erhalten bleiben. „Ich komme zurück mit neuen Projekten“, verspricht sie. Erste Ideen gebe es schon – mehr will sie aber jetzt noch nicht verraten.

Auch die Entwicklung des Kaufhauses Krämer will Recktenwald aufmerksam weiterverfolgen. Die MEGB hat für den großen Gebäudekomplex ambitionierte Pläne. Nach Renovierungs- und Umbauarbeiten sollen Wohn- und Geschäftsräume entstehen, in dem Bereich, wo jetzt die Galerie untergebracht ist, ist Gastronomie vorgesehen. Ein Restaurant oder Café kombiniert mit Kunst, das könnte sich Recktenwald in den wunderschönen Metzendorf-Räumen mit der meterhohen Fensterfront wunderbar vorstellen. Als Beraterin oder um Verbindungen zur Kunstszene herzustellen, würde sie gerne zur Verfügung stehen.

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Einladend: Die hohen Fensterfronten wurden einst von Heinrich Metzendorf entworfen.
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„Krämer reloaded“ verteilt sich auf zwei Ebenen: Unten der Laden, oben die Galerie, wo regelmäßig Ausstellungen
stattfanden. Bilder: Thomas Neu

Mit „Krämer reloaded“ hat sie nicht zum ersten Mal bewiesen, dass sie ehrgeizige Ideen zum Fliegen bringen kann. Die Künstlerbuden – ein Markenzeichen des Bensheimer Weihnachtsmarkts – gehen ebenso auf das Konto von Daniela Recktenwald wie die seit vielen Jahren in Bensheim etablierte Kunstmeile. „Kunst und Kreativität sind bei uns in der Familie weit verbreitet“, erklärt sie. Das Einrichtungs und Gestaltungstalent habe sie von ihrer Mutter geerbt – „da hab’ ich ein Händchen für“.

Für ihren Laden hat die Power-Frau auch immer wieder eigene Kreationen – oft Handgemachtes aus Papier – beigesteuert. Ein Klassiker ist die „Literatur im Einmachglas“ – ein kultureller Adventskalender mit Kult-Status. Premiere hatten die Gläser mit 24 tiefsinnigen, nachdenklich stimmenden und heiteren Literatur-Schnipseln und -Fundstücken beim Weihnachtsmarkt 2016. Damals waren es zwölf Gläser, im siebten Jahr „produziert“ Recktenwald eine Auflage von 300 Stück. Ab 2. November startet der Verkauf in der Galerie – solange der Vorrat reicht. Bereits im Frühjahr hat Recktenwald mit den ersten Vorbereitungen begonnen – doch in diesem Jahr soll auch dieses Projekt ein Ende finden. „Alles hat seine Zeit“, meint Daniela Recktenwald. Und bald wird die Zeit für neue Ideen reif sein.

Krämer reloaded

Hauptstraße 27 (Eingang Bahnhofstraße)

Öffnungszeiten:
Mittwoch 16-18 Uhr, Donnerstag 11-16 Uhr, Freitag 13-18 Uhr, Samstag 10-18 Uhr; im Dezember täglich geöffnet
Kontakt: info@kraemer-reloaded.de, Telefon 0173/6686394