In der letzten Ausgabe des Stadtmagazins haben wir den ersten der beiden „Metzendorf-Rundgänge“ beschrieben. In diesem Heft geht es um die zweite Route im Süden der Stadt.

„Ensemble Euler“ nennt sich der zweite der beiden Metzendorf-Rundgänge, die von dem ehemaligen Bensheimer Stadtarchivar Manfred Berg und dem Metzendorfspezialisten Frank Oppermann erarbeitet wurden und auf einem vom Magistrat der Stadt Bensheim herausgegebenen Flyer beschrieben sind.

Der Name Euler verweist auf den Kommerzienrat Wilhelm Euler, der 1871 nach Bensheim gekommen und durch den Kauf und Aufbau einer Bensheimer Papierfabrik reich und einflussreich geworden war. Heute ist von dem ehemaligen Papierwerk nur noch eine lange Mauer entlang der Friedhofstraße zu sehen, die in die dort in den vergangenen Jahren entstandene Wohnbebauung integriert wurde.

Wilhelm Euler (1847 – 1934) war nicht nur der zeitweise größte Arbeitgeber in Bensheim, sondern er beeinflusste das soziale und gesellschaftliche Leben in Bensheim in vielen weiteren Aspekten durch sein politisches und gesellschaftliches Engagement. Vor allem war er auch ein großer Auftraggeber, der bei Heinrich Metzendorf und dessen jüngerem Bruder Georg viele Bauwerke in Auftrag gegeben hat, die noch heute das Stadtbild prägen.

Fast 40 Gebäude ließ Wilhelm Euler durch die beiden Architekten in den Jahren 1896 bis 1922 insgesamt planen. Auf dem „Euler“-Rundgang im Süden Bensheims waren das neben den Fabrikanlagen auch Villen für den Unternehmer und seine Familie. Besonders interessant ist, dass man hier neben den repräsentativen Wohngebäuden ein breites Spektrum von Metzendorf-Entwürfen kennenlernt. Dazu gehören Häuser für Angestellte, Arbeiter und Werkmeister der Fabrik, aber auch eine Trafostation und nicht zuletzt das Grabmal für Heinrich Metzendorf selbst.

An diesem Grabmal auf dem Bensheimer Friedhof, 1923/24 aus Zementguss geschaffen, kann man den Rundgang beginnen. Der Grabstein wurde von Metzendorf entworfen, vermutlich jedoch nicht für ihn selbst, sondern für eine andere Person. Nachdem Heinrich Metzendorf sich im Februar 1923 in Bensheim das Leben genommen hatte, wurde der Stein mit seinem schlichten Relief auf dessen Grab neben der Friedhofskirche gesetzt.

Folgt man der Friedhofstraße dann in südlicher Richtung, passiert man zunächst die schon erwähnte Fabrikmauer. Genau gegenüber steht ein 1920 nach Plänen Heinrich Metzendorfs für die Papierfabrik erbautes Transformatorengebäude aus Granit, Sandstein und Ziegelmauerwerk. Zur Straße öffnen sich vier Rundbogenportale unter einem zentralen Rundbogenfenster – obwohl es sich hier um einen reinen Funktionsbau in einem industriellen Umfeld handelte, ist das Gebäude nach ästhetischen Gesichtspunkten gestaltet.

Zu Fuß durch das „Ensemble Euler“-2
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Von der ehemaligen Papierfabrik Euler steht nur noch die alte Fabrikmauer, die in die neue Wohnbebauung integriert wurde. Bild: Thomas Neu

Wenige Meter weiter steht ein 1902 im Auftrag Wilhelm Eulers als Wohnhaus für vier Arbeiterfamilien errichtetes Gebäude. Der inzwischen stark restaurierungsbedürftige, zweigeschossige Sandsteinbau hat ein steiles Satteldach und einen in vielen Aspekten asymmetrischen Aufbau. Jede Wohnung hatte einen individuellen Eingang von außen.

Zwei Jahre später plante das Büro Heinrich und Georg Metzendorf die benachbarten Werkmeisterwohnungen in der Friedhofstraße 86-90 für die Papierfabrik Euler. Das Ensemble ist im Grunde die Aneinanderreihung von drei eigenständigen, im Grundriss quadratischen Kleinhäusern – diese sind aber so unter einem einheitlichen Dach zusammengefasst, dass sie von der Straße aus eher einem repräsentativen Landhaus ähneln. Auch hier gab es zu jeder Wohnung einen gesonderten Eingang – zwei auf den Seiten der Giebel, der dritte als zentrale Eingangsloggia mit seitlichen Sitzbänken. Jeder Wohnung war ein kleiner Nutzgarten zugeordnet. Auf Grundlage dieser Planung sollte Georg Metzendorf später seine Haustypen für den sozialen Arbeiterwohnungsbau entwickeln, die er wegweisend in der Gartenstadt Margarethenhöhe in Essen verwirklichte. Eine sparsamere Version findet sich einige Grundstücke weiter in Richtung Zell: Das große Wohnhaus wurde von Heinrich Metzendorf ebenfalls für drei Arbeiterfamilien als Fachwerkkonstruktion über einem Sandsteinsockel konzipiert. Anstelle von Sandstein wurden die Wände mit einfachen Holzschindeln verkleidet und auch die Fenster haben statt Sandstein nur Holzrahmen und mit Blumen bemalte Klappläden. Doch auch hier blieb das Prinzip gewahrt, dass jede Wohnung über einen eigenen Eingang verfügt. Noch ein Stück weiter Richtung Zell steht das 1905 von Heinrich Metzendorf für den Fuhrunternehmer Jacob Deichert aus Sandstein auf einem Granitsockel gebaute Haus. Der quadratische Grundriss des Hauses entspricht den im gleichen Jahr entstandenen Werkmeisterwohnungen in der Friedhofstraße 86-90 und gehört zu Heinrich Metzendorfs frühesten Kleinhäusern.

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Die Villa in der Heidelberger Straße war einst Herrschaftssitz des Kommerzienrates Wilhelm Euler. Heute wird
das Gebäude vom Caritas-Verband als Seniorenheim genutzt. Bild: Thomas Neu
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Ein Blick ins Innere des heutigen Caritasheims – vieles ist noch so erhalten, wie es von Heinrich Metzendorf geplant und ausgeführt wurde. Bild: Thomas Neu

Einen ganz anderen Anspruch dagegen erfüllte das riesige Ensemble, das 1912/13 in der Heidelberger Straße 50 erbaut wurde. Es ist die wohl größte an der Bergstraße existierende Villa. Von Heinrich Metzendorf für den Kommerzienrat Wilhelm Euler als Herrschaftssitz in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Papierfabrik gestaltet, wird das Gebäude heute vom Caritas-Verband als Seniorenheim genutzt und ist nun mit einigen Anbauten versehen. Von dem ursprünglich angelegten Garten mit einem Teich samt künstlicher Grotte und Aussichtsturm ist fast nichts mehr zu sehen. Doch das Gebäude selbst ist äußerlich, aber auch im Innern gut erhalten. Geradezu kurios wirkt die Aneinanderfügung unterschiedlicher Baukörper durch den Architekten, die zum Beispiel im Bereich des Dachs viele sich durchdringende Formen zur Folge hatte. Spektakulär im Inneren ist die zweigeschossige Halle mit ihrer reich ornamentierten Ausgestaltung.

In der nordwestlichen Ecke des zugehörigen Parks (Heidelberger Straße 48) baute Heinrich Metzendorf 1922 eine große „Autohalle“ mit zwei Garageneinfahrten im massiv ausgeführten Erdgeschoss, das auch – wie das mit Holzschindeln verkleidete Obergeschoss – als Wohnung diente. Im nördlichen Abschnitt schließt sich eine Reihe von Wohnbauten an. In der Nr. 46 eine ebenfalls für die Familie Euler erbaute Villa, die schon 1898/99 errichtet wurde und eine große Bandbreite unterschiedlicher architektonischer Gestaltungselemente aufweist. Der unregelmäßige Grundriss ist von mehreren sich überschneidenden Satteldächern überspannt. Vorbauten und Erker sowie viele Zierformen gehören stilistisch noch dem Historismus an.

Das trifft auch für das schon 1896 errichtete Nachbarhaus zu: Als so genanntes „Beamtenwohnhaus“ diente es für Angestellte der Papierfabrik und greift mit seinen Kugeln, Muschelbögen und Pyramiden Formen der Renaissance auf. Der symmetrisch aufgebaute Putzbau gehört zu den frühesten Bauten Heinrich Metzendorfs, der den für ihn typischen Stil erst in der Folgezeit entwickelte. Schräg gegenüber baute Metzendorf neun Jahre später eine Villa, nicht im Auftrag der Familie Euler, sondern für den Ziegeleibesitzer und Rentier Otto Heitefuss. Metzendorf entwarf ein einfaches, zweigeschossiges Haus mit Satteldach und lagert diesem im Osten eine Veranda und im Süden eine Vorhalle und einen niedrigeren Flügel vor. Die drei heute mit Fenstern geschlossenen Bogen der Veranda waren früher offen, was dem Ensemble mehr optische Tiefe verlieh. In der offenen Vorhalle befindet sich die Treppe zum Eingang und – wie in vielen anderen Bauten Metzendorfs auch – eine seitliche Ruhebank.

Auf dem Weg zurück zum Ausgangspunkt auf dem Friedhof passiert man zwei 1911 für den Unternehmer Georg Friedrich Hechler für den Verkauf errichtete Wohnhäuser (Heidelberger Straße 38 und 40), die in der Gestaltung an Metzendorfs Wohnbauten der Landhaussiedlung im Schönberger Tal erinnern und – charakteristisch für den auch dort angewandten Typenbau – spiegelbildliche Grundrisse aufweisen. Eva Bambach