Benno kommt angerannt. Er erzählt Trainerin Taimi Kries aufgeregt, was er gerade gemacht hat. Die Kurzversion lautet: Geklettert, gesprungen, im Sprung gedreht, Mauer überwunden und im sogenannten „Frog“ gelandet. Hört sich abenteuerlich an – aber nichts scheint unmöglich im Parkour-Training des SV Schwanheim. Kinder und Jugendliche hüpfen, springen, klettern, fliegen geradezu durch die Sporthalle der Fehlheimer Carl-Orff-Schule und überwinden dabei Hindernisse verschiedener Art.„Die Kids wissen, was sie können“, sagt Taimi Kries gelassen. Sie steht an der Längsseite der Halle und scannt mit schnellen Blicken die Szenerie. Eine junge Sportlerin an der „Wall“ benötigt Hilfe. Taimi Kries unterstützt beim Erklimmen der Turnmatte, die als Mauer zwischen den Holmen eines Turnbarrens fixiert ist. Auf der anderen Seite geht es circa zwei Meter in die Tiefe. Kurzes Zögern vor dem Sprung. „Denk an den Frog!“ Die Frog-Landung zählt zu den Parkour-Grundtechniken.

Bei der Frosch-Vierpunktlandung werden die einwirkenden Kräfte auf Beine und Arme verteilt. Das Mädchen legt einen nahezu perfekten Frog hin und wiederholt die Übung an der Wall direkt ein zweites Mal – ohne Hilfestellung. „Parkour fördert das Selbstvertrauen“, betont Taimi Kries, die Mutter von drei Söhnen ist. Moritz (17), Justus (14) und Linus (11) sind ebenfalls am Start beim SV Schwanheim in Sachen Parkour.

Beim Parkour geht es darum, sich effizient in urbaner Umgebung zu bewegen und dabei Hindernisse durch reine Körperkraft zu überwinden. Entwickelt wurde die besondere Fortbewegungsform in Frankreich in den 1980er Jahren. Der SV Schwanheim hat Parkour seit einiger Zeit im Angebot. Über eine AG an der Carl-Orff-Schule etablierte sich die Sportart innerhalb des SVS. Nach der coronabedingten Unterbrechung erfolgte im vergangenen Sommer der Re-Start. „Es boomt“, berichtet Taimi Kries, die die Turnabteilung des Sportvereins leitet. Insgesamt 40 Kinder in zwei Altersgruppen (5 bis 10 und 10 bis 18 Jahre) betreiben an zwei Trainingstagen Parkour beim Sportverein. „Fast jede Woche kommen neue Kinder oder Jugendliche dazu.“ So wie Emily. Die 15-Jährige, zuvor im Gardetanz und Turnen aktiv, ist vor fünf Wochen eingestiegen. Seitdem hat sie bereits eine Verbesserung ihrer Sprungkraft festgestellt. „Mega gut“ findet Emily Parkour-Sport. Vor allem die Freiheit bei der Ausübung der Sportart gefällt ihr. „Man kann für jedes Hindernis seine eigene Lösung suchen.“

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Das Erklimmen und Überwinden der „Wall“, einer zwischen den Holmen eines Turnbarrens fixierten Matte, ist eine Übung beim Parkour-Training. Bilder: Thorsten Gutschalk
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Das Erklimmen und Überwinden der „Wall“, einer zwischen den Holmen eines Turnbarrens fixierten Matte, ist eine Übung beim Parkour-Training. Bilder: Thorsten Gutschalk
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Sportliche Vorbildung ist nicht erforderlich, um Parkour ausüben zu können. „Es ist für alle Alters- und Gewichtsklassen geeignet“, sagt Taimi Kries. Die 50-jährige Wahl-Fehlheimerin und ehemalige Turnerin hat sich ihr Parkour-Know-how auf verschiedenen Wegen erarbeitet. „Es gibt in den Bewegungsabläufen einige Überschneidungen mit dem Turnen, aber bei Parkour-Übungen spielen Aussehen oder Haltung keine Rolle, Hauptsache man überwindet das Hindernis mit seinen Fähigkeiten möglichst effizient.“ Rüstzeug sind die Grundtechniken wie etwa Frog oder „Armsprung“. Beim Armsprung wird ein Objekt, beispielsweise eine Mauer, zunächst angesprungen, um es in einem zweiten Schritt zu überwinden. Wegen der Abfederung des Aufpralls ist es wichtig, das Gebilde zuerst mit den Beinen zu berühren und sich dann mit den Armen daran hochzuziehen.

Den Armsprung trainieren die Parkour-Sportler, im französischen Traceur (Läufer) genannt, an einer Sprossenwand.

Die Gelassenheit, mit der Taimi Kries das Geschehen verfolgt, hat sie sich antrainiert. „Am Anfang gab es einige Schreckmomente.“ Inzwischen beobachtet sie die Abläufe entspannt. „Weil ich weiß, dass wir uns die Basics gemeinsam erarbeitet haben und die Kids sie beherrschen.“ Kleinere Schrammen bleiben dennoch nicht aus. Schulter, Arm, Fuß werden der Trainerin von den Athleten als schmerzende Stellen angezeigt. „Brauchst du ein Kühlpad?“, fragt die ausgebildete Physiotherapeutin ihre „Patienten“, nachdem sie die Blessur in Augenschein genommen hat. Ein kurzes Kopfschütteln im Weglaufen ist die Antwort. Die Wall ruft zur nächsten Mutprobe.

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Immer mittwochs trainieren die Zehnbis 18-Jährigen in der Halle der Fehlheimer Grundschule. Bilder: Thorsten Gutschalk
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Dynamik, Schnelligkeit und Akrobatik – das macht Parkour aus. Vor allem die älteren Jugendlichen zeigen atemberaubende Sprünge. Bild: Thorsten Gutschalk

Den Auftakt jeder Parkour-Trainingseinheit bildet ein gemeinsames Aufwärmprogramm. Anschließend werden die verschiedenen Übungsstationen zu einem Parcours aufgebaut. „Der sieht jedes Mal anders aus“, erklärt Taimi Kries. Der Betrieb an den Hindernissen funktioniert reibungslos. „Alle halten die Regeln diszipliniert ein.“ Und: Die Älteren helfen den Jüngeren. „Das ist ganz selbstverständlich, das muss ich gar nicht sagen.“

Zum Abschluss jeder Übungsstunde wird ein „Run“ absolviert. Dabei werden alle Stationen mehrmals hintereinander durchlaufen. Während dieser Runs wird die atemberaubende Dynamik, Schnelligkeit und Akrobatik von Parkour deutlich. Spektakulär wird es, wenn Justus, Moritz oder Tobias mittels der Hocksprungtechniken „Kong“, „Double Kong“ oder „Dash Vault“ über Sprungkästen segeln. Das gilt ebenso für den vertikalen Wall Run, bei dem Moritz und Tobias in einer Mischung aus Rennen und Klettern in irrem Tempo die Wand der Sporthalle empor kraxeln. „Man hat ein Gefühl von Freiheit“, beschreibt der 17-jährige Tobias im Anschluss an seinen Ausflug in Richtung Hallendecke den Reiz von Parkour.

In unmittelbarer Nachbarschaft der Carl-Orff-Schule ist Parkour in Zukunft eventuell auch Outdoor möglich. Die Planungen für eine eigene Anlage auf dem Sportplatz des VfR Fehlheim laufen, im Ortsbeirat wurde das Projekt bereits vorgestellt und diskutiert. Der Verein hatte vor einigen Jahren eine Zeit lang eine eigene Parkour-Abteilung und hat sich nun nach längerer Pause wieder zurückgemeldet in der Sparte. Initiiert wurde die Parkour-Gruppe für Dreibis Sechsjährige von Katharina Weis als Reaktion auf die Corona-bedingten Einschränkungen für den Vereinssport. „Es war für Kinder und Eltern eine schwere Zeit“, blickt die Mutter eines sechsjährigen Sohnes zurück.

Bei der Suche nach einer Corona-konformen Outdoor-Sportart entdeckte Katharina Weis Parkour. Als ehemalige Handballspielerin und -trainerin startete die 37-Jährige Parkour-Sport beim VfR mit Equipment aus ihrem Handball-Fundus. Mittlerweile ist die Gruppe Geräte-technisch besser aufgestellt. So gehören etwa transportable Sprungkästen aus Schaumstoff seit Kurzem zur Ausstattung. „Wir sind ganz am Anfang“, beschreibt sie die sportlichen Anforderungen. Geschult werden Grundlagen wie Laufen, Springen oder Koordination.

Bis zu 25 Kinder besuchen das wöchentliche Training auf dem Fehlheimer Sportplatz, wo in einem Materialschuppen die Parkour-Utensilien gelagert sind. Katharina Weis rechnet mit weiter wachsendem Interesse an der Sportart. Eric Horn
   

Daten & Fakten

Stichwort Parkour

Die Ursprünge des Parkour-Sports lassen sich auf die Méthode Naturelle zurückführen.

Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte der Franzose Georges Hébert ein Trainingsprogramm, das die natürlichen Bewegungsabläufe des Menschen (Gehen, Laufen, Springen, Balancieren, Klettern) zur Überwindung von Hindernissen in der Natur vereinte.

In den 1980er Jahren übertrug David Belle, der die Méthode Naturelle durch seinen Vater Raymond erlernt hatte, die natürliche Methode in eine urbane Umgebung mit ihren Hindernissen wie Treppen, Hauswände, Mauern oder Bänke.

Parkour im Verein

SV Schwanheim
Altersgruppe: 5 bis 10 Jahre
Zeit: Dienstag 16 bis 17 Uhr
Ort: Sporthalle der Carl-Orff-Schule
Trainerin: Martina Michel

Altersgruppe: 10 bis 18 Jahre
Ort: Sporthalle der Carl-Orff-Schule
Zeit: Mittwoch 17 bis 18.30 Uhr.
Trainerin: Taimi Kries

VfR Fehlheim
Altersgruppe: 3 bis 6 Jahre
Zeit: Freitag 15.30 bis 16.30 Uhr
Ort: Sportplatz VfR Fehlheim
Trainerin: Katharina Weis