Goldschmied Fritz Dorsheimer hat in jungen Jahren zwei herrschaftliche Stühle aus dem Bestand des Schönberger Schlosses als Sammelobjekte gekauft.In perfektem Erhaltungszustand stehen die beiden hochherrschaftlichen Stühle in dem alten Fachwerkhaus am Hospitalbrunnen – sie wurden wohl stets geschätzt und gepflegt, doch selten benutzt. Einst gehörten sie zur Ausstattung von Schloss Schönberg, doch schon seit einem halben Jahrhundert sind sie im Besitz von Fritz Dorsheimer.Der Bensheimer Goldschmied kaufte sie, als er noch ein sehr junger Mann war, als Sammelobjekt vom Fürsten von Erbach-Schönberg und hatte sie zunächst in seinem privaten Haus. Seit er seinen Hausstand verkleinert hat und sich auf eine Wohnung beschränkt, stehen die Stühle in einem Nebenraum seines Juweliergeschäfts. Benutzt hat Dorsheimer die Stühle nie wirklich. „Zu unbequem“, sagt er. Aber sie seien sehr alt, nach eigenen Recherchen wohl aus dem 18. Jahrhundert stammend. 

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Fürstliche Sitzgelegenheit. Bild: Foto van Bosch

Die Stühle gehörten vermutlich früher zu einem größeren Ensemble, mit dem vielleicht die Tafel im repräsentativen Speisesaal des Schlosses der Grafen von Erbach-Schönberg ausgestattet war. Marie Fürstin zu Erbach-Schönberg erinnerte sich in ihren Memoiren an ihren ersten Besuch auf dem Schloss. Damals noch lediglich Prinzessin von Battenberg, war sie mit ihrer Familie zum ersten Mal bei ihrem künftigen Ehemann Gustav (damals noch „Graf“, später erst „Fürst“) von Erbach-Schönberg eingeladen. So wie das ganze Schloss machte auch der Speisesaal großen Eindruck auf sie, als sie zum Kaffee erschienen, „drei Wagen voll: Kaiser und Kaiserin, Prinz und Prinzessin Karl, Prinz Gustav Wasa, Papas Vetter, die Eltern, Wilhelm, Marie, Gräfin Protassow, Gräfin Tolstoi und ich, Ludwig zu Pferde“. All diese Personen, zusätzlich die Gastgeber, versammelten sich im Speisesaal: „Der Speisesaal ist ein großes, altertümliches Gemach mit Stuckverzierungen und Wappen in den vier Ecken. An den Wänden hingen rings herum viele Ahnenbilder. Der Kaffeetisch stand in der Mitte des Zimmers, […] Wir bekamen eine Menge ausgezeichnete Sachen zum Kaffee und ließen es uns, mit der Kaiserin angefangen, sehr gut schmecken,“ schrieb Fürstin Marie weiter. Die Kaiserin war Maries Tante, die mit dem russischen Zaren Alexander II. verheiratet war, der bei dem besagten Besuch ja ebenfalls mit nach Schönberg gekommen war.

Zur Ausstattung eines Speisesaals gehörte in den Schlössern früher immer eine lange Tafel in der Mitte mit vielen gleichen Stühlen rundum, die in der Regel nur bei repräsentativen Anlässen genutzt wurden. Ob es sich bei den Stühlen im Besitz von Fritz Dorsheimer um Stücke aus dem Ensemble handelt, auf dem damals das russische Zarenpaar Platz nahm? Fotos des Speisesaals aus dem Jahr 1970 zeigen die von Marie beschriebenen Stuckverzierungen und einige Ahnenbilder, jedoch eine ganz andere Ausstattung mit Tischen und Stühlen: Längst war das fürstliche Schloss in ein Erholungsheim umgewandelt worden, denn 1956 wurde das Anwesen an die Ruhrknappschaft in Bochum verkauft und umgestaltet.

Die Bausubstanz des Schlosses stammt in den Grundzügen aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Um 1728/29 gab es umfangreiche Baumaßnahmen, mit aufwändigen Stuck- und Freskoarbeiten im Herrenhaus. Erhebliche Umbauten gab es dann wieder um 1840/50. Dorsheimer datiert seine Stühle ins 18. Jahrhundert. Es wäre also durchaus denkbar, dass sie im Zuge des Umbaus 1728/29 zu einer damals angeschafften Innenausstattung des Speisesaals gehört hatten. Dass die heutige Technik der Polsterung, augenfällig bei den klassischen Chesterfield-Falten der lederbezogenen Rückenlehne, in ein anderes Jahrhundert gehört, könnte dann auf Erhaltungsarbeiten einer späteren Epoche zurückzuführen sein. Eine neue Speisesaal-Ausstattung könnte aber auch während des Umbaus Mitte des 19. Jahrhunderts fällig geworden sein. Auch für eine Datierung in diese Zeit gibt es stilistische Argumente, insbesondere die handgeschnitzten Details wie die beiden Frauenfiguren, die die Rückenlehne zu stützen scheinen und Erfindungen des auch als „Louis Philippe“ bekannten Stils des Neorokoko in der Mitte des 19. Jahrhunderts sein könnten, ebenso wie die Voluten, in die die s-förmig geschwungenen Beine ausklingen. Zur Zeit des Zarenbesuchs könnten die Stühle sich jedenfalls also durchaus schon im Schloss befunden haben. Eva Bambach